Plätzchenduft und Weihnachtszauber
9. Türchen: Vom Engelchen, das Musik machen wollte
Vor langer Zeit, es war kurz vor der Adventszeit, da las der kleine Engel Kasimir folgenden Zettel am Schwarzen Brett:
„Nachwuchs gesucht! Unsere Orchesterengel brauchen Verstärkung! Du möchtest ein Instrument lernen? Dann melde Dich noch heute bei unserem Dirigentenengel Eberhard. Wir freuen uns auf Dich!“
Aufgeregt flatterte Kasimir mit seinen Flügeln. Er hatte schon immer davon geträumt, einmal ein Instrument zu spielen und Mitglied bei den Orchesterengeln zu sein, die zu allen Sonn- und Feiertagen ihre schönen Stücke spielten und viel bewundert wurden.
„Da melde ich mich sofort an!“, rief er begeistert und machte sich umgehend auf die Suche nach Engel Eberhard. Er fand ihn auf der großen Musikwolke, wo immer die Proben stattfanden. Gerade sortierte er riesige Stapel von Noten, wobei ihm immer seine übergroße Brille von der Nase rutschte.
„Hallo, Engel Eberhard“, grüßte Kasimir und wischte beinahe mit einem seiner Flügel einen Stapel Noten vom Tisch.
„Hoppla, junger Freund, nicht so stürmisch!“, mahnte ihn Eberhard. „Ich will nicht noch einmal von vorne anfangen. Was willst du denn von mir?“
Kasimir, der vor Verlegenheit etwas rot geworden war, trippelte nervös auf der Wolke herum und musste sich erst sammeln, bevor er dem alten Engel schließlich seinen Herzenswunsch offenbarte: „Ich möchte gerne ein Orchesterengel werden!“
„Soso“, meinte Eberhard und sah ihn prüfend über den Rand seiner Brille an, die schon wieder viel zu tief auf seiner langen Nase saß. „Weißt du denn auch, dass du dazu sehr fleißig und diszipliniert sein musst? Wir haben zwei Mal Probe in der Woche und spielen an allen Sonntagen und natürlich an den Festtagen. Und bis du dein Instrument richtig spielen kannst, musst du jeden Tag üben.“
„Ja, Engel Eberhard, das weiß ich“, rief Kasimir und sein Gesicht glühte vor Eifer. „Ich werde ein ganz besonders guter Orchesterengel sein, das verspreche ich!“
„Nun gut“, brummte Eberhard, „dann wollen wir es einmal mit dir versuchen. Heute Abend kannst du gleich zur ersten Probe kommen. Weißt du denn schon, welches Instrument du spielen möchtest?“
„Nein“, gab der kleine Kasimir beschämt zu, „das weiß ich noch nicht.“
„Das ist nicht schlimm“, tröstete Eberhard den kleinen Engel. „Wir werden schon gemeinsam herausfinden, wo deine Talente liegen. Bis heute Abend, pünktlich um 19.00 Uhr!“
„Jaaa, bis dann!“, rief Kasimir und flatterte glücklich davon.
Nach einem gefühlt endlosen Tag fand sich der kleine Engel pünktlich auf der großen Musikwolke ein, wo er von den anwesenden Musikern freudig begrüßt wurde. Ein energisches Klopfen des Taktstocks von Dirigent Eberhard sorgte für Ruhe.
„Wie ihr seht, haben wir einen Neuzugang. Kasimir möchte sich uns anschließen und wir heißen ihn herzlich willkommen. Nun, Kasimir, welches Instrument möchtest du denn zuerst versuchen?“
Der kleine Engel besah sich die vielen glänzenden Flöten und Posaunen, aber auch die Harfe und die große Pauke. Irgendwie sah die Pauke sehr einladend aus.
„Darf ich die mal ausprobieren?“
Eberhard nickte. „In dem Stück, das wir gerade proben, schlägst du immer auf die Eins, verstanden?“
Kasimir nickte ernsthaft und stand mit erhobenem Paukenschlegel bereit. Der Dirigent gab den Einsatz, wobei Kasimir gleich den ersten Paukenschlag verpasste.
„Du musst gleich, wenn wir anfangen, den ersten Schlag machen“, erklärte Eberhard geduldig. „Und dann immer schön mitzählen! Also, nochmal!“
Diesmal setzte Kasimir richtig ein, aber vor lauter Freude darüber zählte er nur bis drei und paukte den nächsten Schlag wieder falsch. Vor lauter Eifer, wieder richtig in den Takt zu kommen, schwang er den Paukenschlegel so kräftig, dass er ihm selber an den Kopf und seinem Nachbarengel auf den Fuß knallte, weil er ihn vor lauter Schreck gleich fallengelassen hatte.
Eberhard richtete seine Brille und schüttelte den Kopf. Nachdem beide Beulen gekühlt waren, meinte er: „Ich glaube, das ist nicht so ganz das richtige für dich. Willst du nicht etwas anderes versuchen?“
Kleinlaut nickte Kasimir. „Ja, ich glaube auch“, meinte er leise.
„Wie wäre es denn mit der Blockflöte? Kannst du Noten lesen?“ Zu Eberhards Erstaunen nickte Kasimir.
„Das habe ich in der Schule gelernt“, erklärte er und war ein bisschen stolz, dass er schon etwas konnte.
„Gut, dann wollen wir das mal versuchen.“ Eberhard reichte Kasimir eine Flöte und erklärte ihm, wie er greifen musste, um die einzelnen Töne zu blasen.
„Ich zeige dir, wann du einsetzen musst.“
Als der erste Einsatz kam, brachte er zunächst nur einen misstönenden Quietscher zustande, über den Eberhard großzügig hinwegsah, schließlich war noch kein Meister vom Himmel gefallen. Doch aus einem Quietscher wurden mehrere, und auch, wenn Kasimir zwischendurch mal einige Töne traf, so lagen sie völlig außerhalb des Taktes. Als schließlich die kleine Sigrun neben ihm genervt um sich flatterte, weil ihr von dem hohen Gequietsche schon die Ohren schmerzten, griff Eberhard ein.
„Kasimir, komm, gib mir die Flöte. Ich glaube, auch das ist nicht das richtige Instrument für dich."
„Meinen Sie?“, fragte Kasimir geknickt. „Und wenn ich ganz fleißig übe?“
„Glaube mir, ich sehe, wenn jemand Talent hat und nur etwas Übung braucht. Ich sehe aber auch, wenn das nicht der Fall ist. Wir haben ja noch einige andere Instrumente. Bestimmt finden wir bald das richtige für dich.“
Auch das Xylophon wurde ausprobiert, doch auch hier flogen bald die zum Glück etwas leichteren Klöppel durch die Gegend. Kasimir ließ niedergeschlagen Kopf und Flügel hängen. Nachdenklich sah Eberhard sich um. Da fiel ihm das alte Keyboard auf, das schon lange verwaist in einer Ecke stand.
„Vielleicht liegen dir Tasten ja mehr“, meinte er zuversichtlich und schob den kleinen Engel hinter die Klaviatur. Für den Rest der Probe klimperte sich der kleine Engel tapfer durch die Noten und lag auch nur noch manchmal neben dem Takt. Trotzdem fiel es ihm schwer, seine Finger zu sortieren. Auf zwei richtige Noten kamen drei falsche. Doch immerhin schien es nicht so aussichtslos zu sein, wie bei den anderen Instrumenten. Wenigstens gab es hier keine Verletzungsgefahr. Wenn auch Eberhard noch lange nicht zufrieden war, hatte er zumindest die leise Hoffnung, dass hier die Übung den Meister machen würde. Deshalb legte er dem kleinen Engel ans Herz, jeden Tag fleißig zu spielen, denn bald schon nahte das Weihnachtsfest und ab der nächsten Probe würden sie zusammen mit dem himmlischen Chor üben. Kasimir war ja auch wirklich mit großem Eifer bei der Sache, aber wer ihm beim Üben zuhörte, ergriff schon nach wenigen Minuten die Flucht. Der freche kleine Barnabas aus seiner Schulklasse machte sich einen Spaß daraus, ihn zu ärgern.
„Willst du nicht mit dem Üben warten, bis du es besser kannst?“, rief er grinsend und die umstehenden Engel lachten.
„Wartet es nur ab!“, rief Kasimir erbost zurück. „An Weihnachten werdet ihr staunen!“
„Ja, das befürchte ich auch“, konterte Barnabas und flog laut lachend davon.
Drei Tage später war die nächste Probe. Wie angekündigt, nahm diesmal bereits der große Chor der Engel daran teil. Vorausschauend hatte der Dirigent den kleinen Kasimir mit seinem Keyboard ganz hinten platziert, wo er keinen Schaden anrichten konnte.
Der Chor war so groß, dass die ganze Musikwolke besetzt war. Das Orchester stand rechts, der Chor links. Dort, wo Kasimir stand, standen auch die letzten Engel des Chors. Ganz vorne stand Eberhard mit Kassandra, der Chorleiterin. Gemeinsam versuchten sie, Musik und Gesang so zu koordinieren, dass sie sich an Weihnachten nicht vor dem Heiland blamieren würden.
Doch von diesem Zustand waren sie noch weit entfernt, das war nach dem ersten Versuch bereits sonnenklar.
Kasimir, der sich motiviert, aber erfolglos und misstönend durch seine Akkorde kämpfte, wurde immer mehr von dem kleinen Kilian abgelenkt, der ebenfalls ein Neuzugang war, jedoch im Chor. Er stand direkt neben Kasimir und sang so erbärmlich falsch, dass es den Umstehenden beinahe Schmerzen verursachte. Außerdem verpasste er immer an der gleichen Stelle den Einsatz.
Nach dem dritten Versuch reichte es Kasimir.
„Da musst du doch so singen, hör zu!“, zischte er zu Kilian hinüber und ließ im selben Moment einen glockenhellen Ton erklingen. Nicht auf seinem Keyboard, nein, mit seiner Stimme! Der Ton verklang in der plötzlichen Stille.
Alles sah Kasimir verwundert an. Der schlug sich erschrocken die Flügel vor den Mund. „Tschuldigung!“, nuschelte er und errötete verlegen.
Eberhard und Kassandra sahen sich an. „Denkst du, was ich denke?“, fragte Kassandra und Eberhard nickte.
„Hört mal, ihr beiden, was haltet ihr davon, wenn ihr mal die Plätze tauscht?“, meinte Eberhard und lächelte. Kasimir und Kilian meinten grinsend: „Warum nicht? Wird schon schiefgehen“, und tauschten flink die Plätze.
„Viel schiefer als eben kann das gar nicht gehen“, bemerkte Kassandra trocken und alle lachten.
Von diesem Abend an haute Kilian in die Tasten, als habe er das schon immer gemacht und bewies ein bemerkenswertes Talent. Und Kasimir stand neben ihm und sang mit einer so reinen Engelsstimme, dass ihm Kassandra in der nächsten Probe bereits ein kleines Solo anvertraute.
Der kleine Kasimir war glücklich. Zwar musste er seinen Traum begraben, ein bewunderter Orchesterengel zu werden, dafür hatte er aber sein wahres Talent gefunden.
Und als er am kommenden Weihnachtsfest für den Heiland sein glockenhelles Halleluja sang, lächelte ihm dieser anerkennend zu.