Daniela Ewen - Autorin - Schreibservice "Wortspiel"

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Weihnachtszauber


Diese wunderschöne, festliche Geschichtensammlung mit 144 Seiten unter der Mitwirkung verschiedener Autorinnen und Autoren aus dem Saar-Pfalz-Kreis ist 2022 in limitierter Auflage im Buch Salon Walbach erschienen.

Dort durfte ich folgende Geschichten veröffentlichen:

Vom Engelchen auf dem Weihnachtsmarkt

 Jedes Jahr, wenn die Adventszeit begann, sah der kleine Engel Benjamin zur Erde hinab und bewunderte den Weihnachtsmarkt der kleinen Stadt, für die er als Schutzengel zuständig war. Er sah immer gespannt zu, wenn die einzelnen Buden und Bretterhäuschen aufgebaut wurden, und ihm war, als könne er all die leckeren Dinge riechen, die dort zubereitet wurden.

 

In diesem Jahr jedoch wollte er nicht mehr länger Zuschauer sein. Er beschloss, sich auf die Erde zu begeben und sich den Weihnachtsmarkt ganz aus der Nähe anzusehen.
Also flutschte er in einem unbeobachteten Moment durch eine Wolkenlücke und landete sanft hinter der Kirche, auf deren Vorplatz der Markt aufgebaut war.
Es wurde bereits dunkel, die ersten Lichter wurden eingeschaltet, und Benjamin machte sich ganz begeistert auf den Weg über den Platz, um sich alles genau anzusehen. Was war das für ein Gedränge! Viele Menschen, große und kleine, waren hier unterwegs. Nur gut, dass ihn niemand sehen konnte! Leicht wie ein Windhauch glitt er durch die Menge und war schon am ersten Häuschen angekommen.
Dort hatte ein geschickter Mensch wunderschöne Krippenfiguren und die dazugehörigen Krippen geschnitzt. Mit großen Augen betrachtete Benjamin die kleinen, lebensechten Figuren, mit deren Hilfe die Menschen jedes Jahr der Geburt des Erlösers gedachten. „Das würde dem Heiland auch gefallen, wenn er das sehen würde“, dachte der kleine Engel bei sich. „Sie haben ihn gut getroffen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er als Baby aussah.“
Bevor er weiter in Erinnerungen versank, ging Benjamin schnell weiter zur nächsten Bretterbude. Hier gab es Kerzen in allen Formen und Farben, manche dufteten sogar! Der kleine Engel schloss die Augen und zog die Luft durch die Nase ein. Hmmm… Manche Kerzen rochen beinahe zum Anbeißen, nach Orange, Zimt und sogar nach Lebkuchen. Da wurde sogar einem Engel richtig weihnachtlich zumute.
Von all diesen verführerischen Düften bekam Benjamin langsam aber sicher Hunger. Also ging er weiter zum nächsten Stand, von dem es schon von weitem sehr lecker roch. Was gab es denn hier? Ohhh, Waffeln! Benjamin wurde ganz aufgeregt. Er hatte schon viel Gutes über dieses Gebäck gehört, hatte es aber noch niemals probiert. Mit großen Augen sah er zu, wie die Frau hinter der Theke des Standes die warmen und duftenden Köstlichkeiten zubereitete und noch ganz heiß an die Menschen weitergab.
Dem kleinen Engel lief das Wasser im Mund zu-sammen. Wie aber sollte er nun an eine Waffel herankommen? Er war doch unsichtbar, und Geld hatte er auch keines. Benjamin betrachtete die Menschen, die vor der Bude an kleinen Tischen zusammen standen und miteinander redeten und lachten. In einem unbeobachteten Moment stibitzte der Engel ein ganz kleines Stückchen Waffel von einem Teller, als der Mensch gerade nicht aufpasste. Er hatte dabei zwar ein ganz schlechtes Gewissen, weil Engel so etwas eigentlich nicht tun dürfen, aber er konnte einfach nicht widerstehen. Es roch soooo köstlich, und er musste einfach ein Stück probieren. Sicher würde der Heiland Verständnis dafür haben. Er würde sich auch dafür entschuldigen, wenn er wieder im Himmel war, ganz bestimmt.
Aufgeregt steckte Benjamin das Stückchen Waffel in den Mund. War das lecker! Süß und heiß und mit Zimtzucker … So etwas gab es sogar im Himmel nicht zu essen! Als die Frau neben ihm gerade wegsah, brach er auch von ihrer Waffel ein Stückchen ab und steckte es gleich in den Mund. Oh, da waren ja Kirschen drauf, mit Sahne! Und der Mann da drüben, der hatte Schokolade! Flink huschte Benjamin von einem Weihnachtsmarktbesucher zum anderen und holte sich kleine Kostproben, bis er satt war.
Zufrieden lief Benjamin weiter. Er bestaunte weihnachtlich bestickte Tischdecken, Holzschnitzereien und lustige Nikolausmützen mit blinkenden Lichtern daran.
Doch allmählich merkte Benjamin, wie er nach all den süßen Waffeln Durst bekam. Also machte er sich geradewegs auf zum nächsten Getränkestand. Hier roch es nach weihnachtlichen Gewürzen und es qualmte verheißungsvoll aus einem großen Topf. Hier würde er sicherlich etwas zu trinken bekommen und sich dazu noch aufwärmen können. Die Menschen, die hier standen, sahen nicht aus, als würden sie frieren. Im Gegenteil, die Stimmung war sehr ausgelassen, und sie prosteten sich mit den hübsch bemalten Tassen zu, aus denen es sehr gehaltvoll und lecker roch. Was mochte das wohl sein, überlegte der kleine Engel? So etwas wie Punsch vielleicht?
Er beschloss, seine Taktik vom Waffelstand zu wiederholen und wartete, bis eine Tasse unbeaufsichtigt war, um blitzschnell einen Schluck daraus zu trinken. Huhhh, das war ja mal ein gutes Zeug! Davon musste er mehr haben! Und so flitzte Benjamin von Tisch zu Tisch und konnte tatsächlich noch einige Schlucke von diesem Getränk erhaschen. Manchmal war es tiefrot und manchmal fast weiß, stellte er fest. Wie mochte das wohl heißen, was er da trank? Der kleine Engel schaute zu dem Schild an dem Getränkestand. Aber hoppla, was war denn das? Die Buchstaben waren so unscharf und tanzten hin und her? Benjamin schloss kurz die Augen. Jetzt standen sie wieder still, die Buchstaben. „G-L-Ü-H-W-E-I-N“, buchstabierte er. „Aber der glüht doch gar nicht. Nur mein Gesicht fühlt sich an, als würde es glühen … Seltsam. Aber lecker, der Wlüüühh..., Wüüühh-gleeeiiin…, das Zeug! Ganz anders als das, was wir im Himmel bekommen“, dachte er und schwankte ein wenig beim Weiterlaufen. Seine Bäckchen und auch seine Nase waren tatsächlich ganz rot geworden.
Mühsam blickte er auf die Turmuhr der Kirche. Die Zeiger verschwammen so lustig und ließen sich kaum lesen. „Oh weia“, erschrak der kleine Engel. „Schon so spät! Ich muss doch morgen zur Posaunenprobe!“ Er nahm noch einen letzten großen Schluck von dem heißen Wein und machte sich wieder auf den Weg zurück in den Himmel. Dort angekommen, war er von all dem Erlebten und sicher auch von all den leckeren Kostproben so müde, dass er auf seine Wolke sank und einschlief.
Am nächsten Morgen erwachte er, als die Sonne schon lange aufgegangen war. Die Glocken unten auf der Erde läuteten gerade elf Uhr. Ganz deutlich vernahm er ihren Klang und fiel förmlich aus dem Bett. Die Posaunenprobe! Er war doch der zweite Posaunenengel heute am Heiligen Abend! Erschrocken flatterte Benjamin los. Dann musste er noch einmal zurück, weil er seine Posaune vergessen hatte. Das würde Ärger geben …
Tatsächlich war Bonifatius, der Chorleiter, gar nicht begeistert, als Benjamin so spät zur Probe erschien. Strafend sah er ihn an, als sich der kleine Engel schuldbewusst an seinen Platz schlich. „Nun aber – alle zusammen! Eins, zwei, drei!“ Bo-nifatius gab den Einsatz, aber als Benjamin tief Luft holte, um in seine Posaune zu blasen, wurde ihm ganz schummerig. Überhaupt war ihm gar nicht gut. Sein Kopf brummte wie ein wütender Bär, und sein Magen …
Auch beim zweiten Versuch brachte er keinen Ton zustande. Stattdessen wurde er plötzlich ganz grün im Gesicht. Der kleine Engel warf seine Posaune in die Ecke und flitzte blitzschnell hinaus, beide Hände fest vor den Mund gepresst. Bonifatius und die Engel des Posaunenchors schauten verwundert hinterher. Hatte Benjamin etwa Lampenfieber? Es ahnte ja keiner von dem kleinen Ausflug, den er am Abend zuvor unternommen hatte.
Unterdessen saß der arme Tropf erschöpft auf einer Wolke. Da kam der Heiland vorbei und sah, wie elend es dem Engel ging. „Was ist denn mit dir geschehen?“, fragte er mitleidig, setzte sich zu Benjamin auf die Wolke und legte seinen Arm um ihn. Da konnte der kleine Sünder nicht anders und erzählte von seinem Abenteuer, das er auf dem Weihnachtsmarkt erlebt hatte. Auch, dass er von den Menschen die leckeren Waffeln und das wundervolle Getränk geklaut hatte, beichtete er.
Der Heiland konnte nicht anders, er musste etwas lachen über Benjamins Erzählung und wie er so mit geknickter Miene und gesenkten Flügeln neben ihm saß. „Na, da hast du ja eine schöne Erfahrung gemacht, mein Lieber. Und ich würde sagen, deine Strafe hast du schon bekommen“, lächelte er milde und fuhr dem kleinen Engel durch die blonden Locken. „Jetzt leg dich noch ein wenig hin, damit es dir heute Abend wieder besser geht. Schließlich musst du doch zu meinem Geburtstag die zweite Posaune spielen!“
Benjamin lächelte den Heiland dankbar an und tat, wie ihm geheißen. Und ganz sicherlich würde er in Zukunft die Finger von diesem Glühwein lassen! Es gab ja auch noch andere Sachen, die er nächstes Jahr probieren konnte. Er hatte da so ein Schild gesehen; was das wohl sein mochte? Da stand „Heißer Amaretto“ drauf …


  Als Joschka keine Äpfel hatte

 Es ist schon lange her, als im Jahre 1847 in dem kleinen Ort Lauscha in Thüringen Joschka Kramer in der Wohnstube seiner ärmlichen Holzhütte saß und betrübt auf den kleinen, noch ungeschmückten Tannenbaum schaute, der noch ein Christbaum werden sollte. Der gelernte Glasbläser war schon alt, und als hätte er nach dem Tod seiner Frau nicht schon Kummer genug, so war ihm auch noch seine Stelle gekündigt worden. Nun saß er da, zwar gesund, aber ohne Arbeit und ohne Hoffnung, und wusste nicht, woher er in den kommenden Wochen das Brot zum Leben nehmen sollte. In wenigen Tagen stand das Weihnachtsfest vor der Tür. Aber wie wenig war dem guten Joschka zum Feiern zumute. Er hatte ja nicht einmal ein paar Äpfel oder Nüsse übrig, um den Baum damit schmücken zu können. Einen einzigen rot-backigen Apfel nannte er noch sein Eigen.

 

Als Joschka so den runden, roten Apfel betrachtete, da kam ihm ein Gedanke. Entschlossen ging er nach nebenan in seine kleine Werkstatt, in der er noch einige Rohstoffe für den Eigenbedarf gelagert hatte. Er setzte sich an die Werkbank, entzündete den Brenner und begann, verschiedene Materialien abzumessen und miteinander zu verschmelzen.
Er arbeitete die ganze Nacht hindurch, und als die Sonne aufging und ihre Strahlen durch das kleine Fenster schickte, hatte Joschka zwanzig schöne, klare, runde Kugeln aus Glas hergestellt, die in einer Stellage hingen und auskühlten, wobei sie fest wurden. Die fertigen Kugeln bemalte er kunstvoll, denn seine alten Hände besaßen großes Geschick. Die schönsten wurden leuchtend rot und glichen somit dem Apfel, der unberührt vor Joschka auf der Werkbank lag. Er bedauerte nur, dass er weder Goldchlorid noch Zinn besaß; mit diesen Rohstoffen hätte er gleich das ganze Glas rot färben können. Aber auch so war der alte Mann mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Er ließ die Kugeln in Ruhe trocknen.
Am kommenden Morgen des 24. Dezembers holte der Glasbläser vorsichtig das Gestell mit den Kugeln aus der Werkstatt und brachte es in die Wohnstube, wo der Baum in der Mitte des Raumes stand. Ein paar kleine, kümmerliche Kerzen und einige Strohsterne hatte Joschka schon angebracht. Und nun waren seine bunten, gläsernen Schmuckstücke an der Reihe. Vorsichtig versah er eine Kugel nach der anderen mit einem Haken aus Draht und hängte sie an den kleinen Baum. Die Wintersonne, die auf die Kugeln schien, brach ihr Licht in dem bunten Glas und funkelte nicht nur im Baum, sondern schmückte das ganze Zimmer mit bunten Flecken auf dem Boden und an den Wänden. Wie wunderschön sah das aus! Joschka hoffte, dass die Kerzen am Abend einen ähnlichen Effekt haben würden und so sein ungewöhnlicher Baumschmuck schön zur Geltung kam.
Da klopfte es an der Tür, und Gretel, seine Nachbarin, stand mit einem kleinen Korb davor, der einige Lebensmittel für Joschka enthielt. Sie wusste, dass der alte Mann über die Festtage alleine war und wollte ihn wenigstens gut versorgt wissen. Wie staunte die gute Frau, als sie in der Stube den so prächtig leuchtenden Baum entdeckte.
Joschka erklärte ihr, wie er die Kugeln hergestellt hatte, und Gretel bat ihn ganz begeistert, auch für sie solche Kugeln zu machen. Sie würde sie auch gut bezahlen. Joschka sagte ihr das zu, allerdings würde sie sie erst für das kommende Christfest haben können, denn nun war ja bereits fast der Heilige Abend angebrochen. Gretel war das gleich, sie würde die Kugeln im kommenden Jahr an den Baum hängen. Aber haben musste sie sie auf jeden Fall! Sie bat Joschka darum, ihr eine Kugel auszuleihen, um sie ihrem Mann und ihren Freundinnen zu zeigen. Der alte Mann suchte eine Kugel aus und gab sie der guten Nachbarin mit. Als Gretel sich verabschiedet hatte, wurde es bereits dunkel. Joschka bereitete sich aus dem Korb der Nachbarin ein Abendessen und entzündete am späteren Abend die kleinen Kerzen an seinem Baum. Zufrieden erfreute er sich an den funkelnden und glänzenden Kugeln an seinem Baum.
Die Weihnachtsfeiertage waren gerade vorüber, da kam Gretel wieder zu ihm und brachte ihm seine Kugel zurück. Außer der Kugel brachte sie eine lange Liste mit, auf der ungefähr 20 Namen verzeichnet waren, alles Bestellungen für den ungewöhnlichen Christbaumschmuck. Alle waren bereit, im Voraus für das Material zu bezahlen und einen schönen Herstellerlohn noch dazu. Joschka traute seinen Augen nicht. Sobald es ihm möglich war, ging er auf Reisen, besorgte sich die benötigten Rohstoffe und machte sich an die Arbeit.
Im Laufe der Wochen und Monate kam er gut voran, und ein Kunde nach dem anderen holte seine Bestellung bei ihm ab. Es dauerte nicht lange, da trafen weitere Bestellungen bei ihm ein, denn die Kunden hatten die Kugeln in der Verwandtschaft und im Freundeskreis herumgezeigt.
Joschka konnte es nicht glauben. Bald schon musste er seine Werkstatt vergrößern und sogar noch einen zweiten Glasbläser einstellen, denn alleine waren die Aufträge gar nicht mehr zu schaffen. Es dauerte nicht lange, da war aus dem armen, alten Glasbläser ein wohlhabender Mann und selbstständiger Unternehmer geworden. Als die alten Finger müde wurden und die Augen trüb, konnte er sich unbesorgt zur Ruhe setzen, denn seine jungen Berufskollegen standen bei ihm Schlange und baten ihn, für ihn arbeiten zu dürfen. Und als der alte Joschka schließlich zum ewigen Weihnachtsfest heimkehrte, gab es genügend Glasbläser, die sein Andenken in Ehren hielten.
So wurde aus dem beschaulichen Lauscha in Thüringen eine reiche Glasbläserstadt, die die ersten gläsernen Christbaumkugeln der Geschichte in alle Welt verschickte. Und das alles nur, weil der arme Joschka zum Weihnachtsfest keine Äpfel hatte.